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Als am 29. November 1906 zum ersten Mal ein Zug der Kleinbahn Weidenau-Deuz den Haltepunkt
Dreis-Tiefenbach passierte, stand dort ein Empfangsgebäude mit zwei Warteräumen
und einem Abfertigungsraum sowie ein Lagergebäude für Stückgüter. Alle diese "Bauwerke" waren aus Wellblech. Erst im Oktober 1928 konnte das massive Bahnhofsgebäude
mit zwei Dienstwohnungen fertiggestellt werden. Damit hatte nun auch Dreis-Tiefenbach
einen repräsentativen Bahnhof. Deuz und Netphen hatten solche Bahnhöfe vom Start der
Kleinbahn an.
Wirtschaftliche Bedeutung der Kleinbahn
Als 1861 die Ruhr-Sieg Eisenbahnlinie eröffnet wurde, verlagerte sich die eisenschaffende
Industrie mehr und mehr ins Hüttental. Die günstig aus dem Rurgebiet bezogene Steinkohle ersetzte die Meilerkohle und mancher Köhler wurden arbeitslos.
Die seit Menschengedenken bestehenden Dreis-Tiefenbacher Hütten und Hämmer waren
nicht mehr konkurrenzfähig und wurden aufgegeben. Die Männer des Dorfes fanden
großenteils Arbeit in den neuen Stahlwerken des Hüttentales. Dafür mussten sie täglich
weite Wege zurücklegen.
NachSo war die Kleinbahn bei ihrer Gründung hauptsächlich für
den Personenverkehr gedacht. Doch schon 1905, ein Jahr vor Fertigstellung der
Strecke, hatte die Siegener Firma Carl Weiss in Tiefenbach Wiesen aufgekauft und errichtete dort eine
Waggonfabrik. Schon im Jahre 1906 konnten 20 Waggons im neuen Werk gebaut werden. Die Belegschaft bestand
am Anfang aus etwa 20 ungelernten Männern. 1910 wurden mit 99 Arbeitskräften 235 Waggons und
zusätzlich 50 Untergestelle gefertigt. Die Farbik vergrößerte sich Jahr für Jahr. 1914, bei
Ausbruch des 1. Weltkrieges, wurden allein 200 Beschäftigte zum Heeresdienst eingezogen und
Frauen und Mädchen produzierten nun.
Nach Ende des Krieges begannen schwierige Jahre. 1932 waren nur noch 135 Personen beschäftigt.
Im 2. Weltkrieg war die SEAG, wie sie damals hieß, Teil der Kriegswirtschaft. Nach dem 2. Weltkrieg
ging es schnell bergauf. 1958 gehörten 1592 Mitarbeiter der Firma an. 1971 ging die SEAG in der Waggonunion
auf und war nicht mehr selbstständig. Ab den 70er Jahren begann ein Personalabbau. Nach der
Wiedervereinigung wurde der Waggonbau aufgegeben und heute ist aus dem alten "Weiss", wie es im Ort
immer noch heißt, ein Zentrum für Entwicklung und Bau von Drehgestellen geworden.
Die Waggonfabrik war die erste Industrieansiedlung, die unmittelbar durch die neue Kleinbahn bewirkt
wurde. Im Jahre 1913 errichtete die Siegen-Lothringer Werke A.-G. ein neues Werk östlich des Ortes
in den Wiesen zwischen Dreis-Tiefenbach und Netphen. Schon bald waren etwa 500 Mitarbeiter mit
Stahlbauwerken und Stahlbehälterbau beschäftigt. 1937 waren es über 1000
Beschäftigte. Der Hauptgrund der nach dem 1. Weltkrieg Kölsch-Fölzer-Werke AG benannten
Firma sich in Dreis-Tiefenbach anzusiedeln war der Gleisanschluss an die Kleinbahn und ein eigener
Haltepunkt für den Personenverkehr. Neben diesen großen neuen Werken wurden an den verlassenen
Standorten der ehemaligen Hütten und Hämmer kleinere neue Firmen gegründet.
So wurde im 20. Jahrhundert aus einem fast reinen Bauerndorf ein Industriestandort mit vielen gut
bezahlten Arbeitsplätzen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Einwohnerzahlen wieder.
Von 984 Personen im Jahre 1890 stieg die Einwohnerzahl auf 1065 im Jahre 1900 und 1413 im Jahre 1910.
Gesellschaftliche Bedeutung der Kleinbahn
Schon im Jahre 1900 waren 69% der Dreis-Tiefenbacher in der Industrie beschäftigt. Trotzdem wurde die
Landwirtschaft als Nebenerwerb weiterbetrieben. Einen Großteil der landwirtschaftlichen
Arbeiten wurde von Frauen erledigt, die Männer arbeiteten in der Fabrik.
Die Fabrikarbeit sorgte für Geldeinnahmen. Dadurch wurde nach und nach ein bequemeres Leben
möglich.
Betrug der Anteil von Handel und Dienstleistungen im Jahr 1900 18%, so stieg er auf 29,5% im
Jahre 1910. Gleichzeitig erweiterten sich die beruflichen Möglichkeiten. In der Industrie
entstanden neue Berufe wie Elektriker, Schweißer, Dreher und damit gab es qualifizierte Facharbeiter.
1910 waren schon 4 Ingenieure in Dreis-Tiefenbach wohnhaft. Musste man vor dem Bau der Kleinbahn ins
Internat gehen wenn man das Abitur erlangen wollte, konnte man nun nach Weidenau fahren und eine
Höhere Schule besuchen. Alle Möglichkeiten wurden genutzt und so war der Weg zu weiterem
Fortschritt frei.
Unser Ort, der über Jahrhunderte durch Querelen, die auch religiöse Gründe hatten,
in der Entwicklung unter seinen Möglichkeiten blieb, schloss zum übrigen Kreisgebiet auf.
Diese Prozesse waren nicht immer direkt von der Kleinbahn bewirkt, aber ohne die Kleinbahn wäre
die Entwicklung nicht in dieser Weise und so schnell erfolgt.
Städtebauliche Bedeutung des Bahnhofs
Die beiden Ortsteile Dreisbach und Tiefenbach waren bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vollständig
getrennt. Zwischen ihnen lag eine Wiesenfläche. Beide Orte lagen nördlich der Sieg. Auch die Trasse
der Kleinbahn verlief in Richtung Weidenau auf dem nördlichen Siegufer. In Richtung Netphen
querte die Bahn kurz vor Dreisbach auf einer Brücke den Fluss. Nahe dieser Brücke, noch auf dem
nördlichen Ufer, entstand der Bahnhof. Für die damalige Zeit war damit ein
repräsentatives Bauwerk entstanden, das sich deutlich von der übrigen Bebauung abhob.
Es lag im freien Feld, sowohl von Tiefenbach als auch von Dreisbach aus gut zu erreichen. Nach und nach wurde
die Wiesenfläche zwischen den Ortsteilen mit Straßen erschlossen und bebaut. Heute sind
Dreisbach und Tiefenbach zusammengewachsen. Nachdem das Bahngelände nicht mehr
gebraucht wurde, sind die Flächen der ehe­,maligen Gleisanlagen weitgehend bebaut worden.
Allein der alte Bahnhof steht noch an der ehemaligen Bahnhofstraße, die jetzt Bismarckstraße
heißt.
Als markantes Einzelbauwerk, das aus der Flucht der Neubauten herausgerückt ist, unterscheidet
er sich deutlich von den modernen Nachbargebäuden. In einer etwas gleichförmigen Umgebung
ist er für das Auge ein Blickfang und Orientierungspunkt. Der Bahnhof würde an
Erinnerungswert für die Kleinbahn gewinnen, wenn die benachbarte Stahlbrücke der
ehemaligen Kleinbahn über die Sieg mit dem Bahnhof in Verbindung gebracht würde. Um das zu
ermöglichen ist ein Weg geplant, der weitgehend auf der ehemaligen Bahntrasse verläuft
und vom Bahnhof aus den Ort mit dem Naherholungsgebiet Siegaue verbindet.